
Übernahme des Grünen Punktes : Remondis will sich zur…
Jede Menge Müll: Im Remondis-Sortierwerk in Bochum wird entschieden, welcher Müll verbrannt oder recycelt wird. Bild: FUNKE Foto Services
Der Entsorgungskonzern Remondis beharrt nach F.A.Z.-Informationen auf der Übernahme des Grünen Punktes. Kommunale Unternehmen sind besorgt. Doch Remondis verhandelt mit dem Kartellamt und erwägt sogar den Gang zum Gericht.
Remondis kämpft um den Grünen Punkt, also um die Übernahme des Recyclingsystems Duales System Deutschland (DSD). Das Vorhaben steht kartellrechtlich auf der Kippe. Nach Informationen der F.A.Z. sprachen Remondis-Anwälte in dieser Woche mit dem Bundeskartellamt über Konzessionen, mit denen das Vorhaben noch gelingen soll. Außerdem sei Remondis bereit, die Angelegenheit notfalls beim Oberlandesgericht Düsseldorf anzufechten, ist aus Kreisen zu hören, die mit der komplexen Verhandlungsmaterie vertraut sind. Die DSD-Eigentümer trügen dies nach jetzigem Stand mit – selbst wenn ein solches Verfahren langwierig wäre. Hintergrund dürfte sein, dass die Finanzinvestoren H.I.G. Capital und Blue Bay Schwierigkeiten hatten, in Verhandlungen andere Bieter als Remondis bei der Stange zu halten. So gebe es jetzt keinen Zeitdruck für die Eigner, ist zu hören.
Remondis will dem Investoren-Duo dessen DSD-Anteile abkaufen. Auch das Paket des DSD-Managements rund um Chef Michael Wiener – etwa 20 Prozent – steht zum Verkauf. Remondis ist der mit Abstand größte deutsche Entsorgungskonzern, DSD wiederum der größte Betreiber unter den dualen Systemen, die gegen Entsorgungsgebühren von Industrie und Handel die Abfuhr und Sortierung von Verpackungsabfall organisieren. Die Transaktion ist auch politisch heikel: Kommunale Müllunternehmen könnten unter die Räder kommen und sind gegen die Fusion. Weil DSD Aufträge an Müllunternehmen vergibt, befürchtet das Bundeskartellamt, dass DSD und Remondis nach einer Fusion Wettbewerber benachteiligen. Die Behörde teilte daher Mitte April mit, sie plane nach jetzigem Erkenntnisstand, das Fusionsvorhaben zu untersagen.
Kartellamt moniert drei Faktoren
Eine Entscheidung sollte eigentlich Ende April fallen, doch die Frist ist inzwischen bis zum 28. Juni verlängert worden – und könnte ein weiteres Mal ausgeweitet werden, sollte mehr Zeit nötig sein, um Zusagen vorzubereiten und zu erfüllen. Wie aus Kreisen verlautet, die mit der Transaktion vertraut sind, liegt der ursprünglich vereinbarte Kaufpreis bei etwa 150 Millionen Euro. Beide Parteien sollen eine „break-up fee“ von 20 Millionen Euro vereinbart haben: also eine Gebühr, die der Bieter Remondis dem jetzigen Eigner-Duo zu zahlen hätte, wenn das Geschäft nicht zustande kommt.
Der Branchenverband BVSE lehnt den Zusammenschluss ab und hat dazu ein Gutachten des prominenten Wettbewerbsökonomen Justus Haucap angeführt. Es entstünde ein vertikal integriertes Unternehmen – es wäre zwar nicht das erste, aber eines mit bisher erdrückender Marktmacht, so argumentiert die Remondis-Konkurrenz.
Das Kartellamt moniert vor allem drei Faktoren. Remondis bekäme einen Anreiz, seine Preise für Sammlung, Sortierung und Aufbereitung von Verpackungsabfällen zu erhöhen – Vorleistungen, die von den DSD-Wettbewerbern benötigt werden. Konkurrenten könnten aus dem Markt gedrängt werden. DSD könnte zweitens als Auftraggeber seine Marktmacht einsetzen, um Remondis-Wettbewerber zu verdrängen. Drittens seien beide Unternehmen im Altglasgeschäft tätig, in der Vermarktung aufbereiteter Glasscherben aus Flaschen. Der Marktanteil summierte sich auf 40 bis 60 Prozent
Vorschläge der Remondis-Anwälte
Remondis mit Sitz in Lünen erzielt etwa 7,3 Milliarden Euro Jahresumsatz mit 32.000 Mitarbeitern. DSD hat ein Drittel Marktanteil unter den dualen Systemen. Das Unternehmen erzielt nach Remondis-Angaben aus dem Herbst vergangenen Jahres 490 Millionen Euro Gesamtumsatz. Im Jahr 2010 waren es nach Darstellung des Miteigners H.I.G. mehr als 600 Millionen Euro gewesen.
Die Remondis-Anwälte führten dem Vernehmen nach im Gespräch mit dem Kartellamt diese Woche vor allem zwei Vorschläge an: zum einen das Procedere der DSD-Ausschreibungsverfahren für Müllunternehmen zugunsten der Remondis-Wettbewerber zu verändern. Zum anderen das Remondis-System zur Verwertung von Altglas zu öffnen; Dritte könnten dann beispielsweise Zugang zu den Anlagen zu Vorzugspreisen bekommen, ist zu hören. Gut möglich ist aber, dass ein Verkauf des Glasgeschäfts nötig wäre, um das Kartellamt zu überzeugen.
Wie aus der Branche durchsickert, hat Remondis in der Zwischenzeit als Gegenstück zur Haucap-Expertise ein Gutachten ins Feld geführt. Die Beratungsgesellschaft ECA Economics präsentierte es Ende April vor dem Bundeskartellamt und argumentierte, dass in ähnlichen Fällen keine Wettbewerber übervorteilt worden seien. Das Gutachten liegt der F.A.Z. vor.
Nur rund zwei Dutzend Anträge seit 1973
Die beteiligten Unternehmen lehnten Stellungnahmen ab. Auch ein Sprecher des Bundeskartellamts wollte sich auf Anfrage nicht äußern – mit dem Hinweis, es handle sich um ein laufendes Verfahren. Die Behörde hatte am 15. April mitgeteilt, sie sehe das Fusionsvorhaben nach jetzigem Ermittlungsergebnis kritisch. Einen solchen Zwischenstand zu vermelden ist für sie eher ungewöhnlich und hat offenbar mit dem breiten Interesse innerhalb der Branche zu tun. Mehrere Marktteilnehmer sind als Beigeladene am Verfahren beteiligt.
Blieben die Bemühungen von Remondis sowie DSD ergebnislos und untersagten die Marktwächter in Bonn das Fusionsvorhaben, gibt es zwei Möglichkeiten, das Vorhaben noch weiter zu verfolgen: Erstens könnten die Unternehmen vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, welches über eine Sonderzuständigkeit in Kartellfragen verfügt, gegen die Untersagung klagen. Remondis ist offenbar bereit, so weit auch zu gehen. Eine Berufung jenseits dieser Instanz würde wohl zu lange dauern.
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/remondis-kaempft-um-gruenen-punkt-gegen-das-bundeskartellamt-16213876.html?premium
Hinweis: Am 11. Juli 2019 untersagte das Bundeskartellamt diesen Kauf; die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.[7]
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