
Das Rätsel bleibt – NWZ – 24.11.2018
Untersuchung: Die Kinderkrebsfälle in Eschenbach haben wohl keine einheitliche Ursache. Das erfuhren 250 Zuhörer bei einem Informationsabend. Von Jürgen Schäfer
Eschenbach – viel mehr als Albtrauf. So wirbt die 2200 Seelen-Gemeinde unterm Fuchseck für ihre Lebensqualität. Sie liegt im idyllischen Streuobstgürtel und hat gute Gewerbesteuererträge. Aber ein Schatten liegt über dem Dorf. Die neue Technotherm-Halle ist mit 250 besorgten Bürgern, auch viele von auswärts, gut besetzt, als Bürgermeister Thomas Schubert einen Informationsabend eröffnet, den er sich nicht wünschte. Die Kinderkrebsfälle am Ort liegen weit über dem Durchschnitt. Von einer 6,4-fachen Erhöhung spricht Dr. Peter Kaatsch vom Deutschen Kinderkrebsregister in Mainz. Schon seit Februar 2014 weiß Bürgermeister Thomas Schubert von einer signifikanten Erhöhung, hörte aber auch, dass es fast unmöglich wäre, dass bei einer „so kleinräumigen Häufung“ genau eine Ursache auszumachen sei. Dagegen spreche auch, so Kaatsch, dass es unterschiedliche Erkrankungen seien. Man solle die Entwicklung weiter beobachten und nicht kleinreden.
„Weiter beobachten“ – das sagt auch Dr. Karlin Stark vom Landesgesundheitsamt, die ihre Zuhörer mit Mathematik konfrontiert. Kinderkrebs sei relativ selten. Wenn es acht Kinder in einem langen Zeitraum treffe, sei die Wahrscheinlichkeit 28 Prozent, dass dies eine zufällige Schwankung sei. Falsch sei aber der Umkehrschluss: dass es zu 72 Prozent kein Zufall sei. Man könne nur über die Wahrscheinlichkeit der Häufung eine Aussage machen. So wie bei dem Beispiel: Wenn man zwei Reiskörner auf ein Quadrat mit vier Feldern wirft, wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass beide Körner auf einem Feld liegen? Sie kann nur sagen: „Die Erkrankungszahl könnte zufällig sein. Auch ein signifikantes Ergebnis könnte zufällig sein.“
Was heißt signifikant? Ein alter Eschenbacher weiß von drei Kindern am Ort, die an Krebs gestorben sind. In einem Zeitraum von 25 Jahren. Ein Zugezogener aus Heiningen findet es schon ein bisschen auffällig, dass es hier immer wieder solche Todesfälle gab. Das kannte er so vorher nicht. Bürgermeister Schubert will an dem Abend keine Zahlen nennen, tut es aber nachträglich. Sechs erkrankte Kinder in den letzten zehn Jahren, zwei sind gestorben. Davor war zehn Jahre nichts, und in weiteren zehn Jahren zuvor gab es zwei Todesfälle. In 38 Jahren seit Beginn der Aufzeichnungen sind es acht Fälle. Dazu Kaatsch: „Das wäre nicht signifikant.“
Wie sieht es mit Krebs bei Erwachsenen aus? Da läuft das Register erst zwei Jahre, sagt Schubert. Für Eschenbach sei es bisher nicht signifikant, zuletzt scheine es anzusteigen. Aber für die Beurteilung sollte man einen Fünfjahreszeitraum haben.
Die Gemeinde hat untersucht: Wie sieht’s mit dem Trinkwasser, der Strahlenbelastung aus Natur und Funk, mit Holzschutzmitteln in Kindergarten und Schule aus? Dr. Sandra Wittorf und Dr. Nadja Mürter vom Gesundheitsamt sowie Harold Neubrand, Ingenieur und Baubiologe, gaben Entwarnung. PCP und Lindan, Formaldehyd, Asbest, flüchtige organische Verbindungen: nicht nachweisbar, weit unter dem Richtwert, unbedenklich. Neubrand greift auf, was aus dem Publikum kommt: Fertighäuser aus früheren Zeiten hätten Holzschutzmittel, die bis heute ausgasten. Aber auch das ist offenbar keine Erklärung. Die Familien der krebskranken Kinder wohnten ganz verschieden, sagt Schubert: „neue Häuser, alte Häuser, Umzüge“.
Blickpunkt Müllheizkraftwerk. Ganz Eschenbach sieht den Ausstoß des Müllofens mit Misstrauen, die Gemeinde hat sich heftigst gegen eine Erhöhung der Verbrennungsmenge gewehrt. Wahrnehmung eines Eschenbachers: „Im Herbst, wenn es Nebel hat, ist es zu riechen. Es riecht nach Abfall.“ Der Leitende Regierungsdirektor Frank Obermüller vom Regierungspräsidium, der Genehmigungsbehörde, zeigt die Windausbreitung des Müllofens auf. Man habe hauptsächlich Westwind, ein ganz geringer Teil sei Nordwind, der Eschenbach betreffe. Die Belastung für das Dorf sei „sehr gering bis unmerklich“. Ein Zuhörer aus Hattenhofen moniert: „Es gibt auch regionale Windrichtungen.“ Die seien stark abhängig von der Topografie, der Thermodynamik, dem Luftdruck. „Da fließt Luft vom Müllheizkraftwerk genau Richtung Eschenbach.“ Obermüller vermutet, dass dies in der Grafik berücksichtigt sei. Für Bürgermeister Schubert ist es ein neues Thema.
Bei Dioxin vom Müllofen sind die Zuhörer besonders hellhörig. Das werde nur an einzelnen Tagen gemessen, sagt Obermüller, und das werde dem Betreiber vorher angekündigt. Was das Publikum mit Heiterkeit quittiert. Es werde bei Volllast gemessen, sagt ein Techniker des Regierungspräsidiums, der Betrieb könne auch nichts anderes machen. Schubert hakt ein: Man wolle ständige Dioxinmessungen wie in Italien, das würde an die 50 000 Euro kosten und müsse dem Betreiber und dem Landkreis etwas wert sein. Obermüller sagt, das Regierungspräsidium habe das auch schon gefordert. „Durchsetzen können wir’s nicht.“